Ragna
Bitte denke nicht so! Du hast sie ja nicht ausgesetzt, oder willentlich getötet. Was wäre denn die Alternative gewesen? Du hast ja im Eingangspost ihre medizinische Vorgeschichte beschrieben. Das waren schon einige Baustellen, die Ragna hatte. Du hast ihr viel zukünftiges Leid erspart. So durfte sie in Würde und als Hund und nicht als Wrack gehen. Du glaubst gar nicht, welche armen Tierschicksale ich Tag täglich in der Tierarztpraxis zu sehen bekomme. So viele Besitzer warten einfach viel zu lange.
Das will und kann ich gar nicht verurteilen, denn es ist ja eine nicht rückgängig zu machende Entscheidung und viele hoffen natürlich noch auf ein Wunder.
Meine Meinung ist nach wie vor, lieber zwei Wochen zu früh, als zwei Tage zu spät. Unsere Hunde haben ja kein Zukunftsdenken und keinen Zeitbegriff ( natürlich wussten sie immer wann es Zeit für einen Keks ist) .
Bei Wildhunden oder Wölfen werden die alten und kranken Tiere regelrecht aus dem Rudel gemobbt, da sie die gesamte Sicherheit der Gruppe sonst gefährden. Sie sterben dann allein.
Dieses Schicksal hast du Ragna erspart.
Sie durfte in Ruhe und in ihrem gewohnten Umfeld gehen.
Natürlich spüren unsere Hunde unsere Anspannung und unsere Verzweiflung in dieser Situation und daher vielleicht auch die Panik, oder Verwirrtheit in diesem Moment.
Aber was will man denn machen? Es ist eine grausame Entscheidung und niemand ist da frei von Emotionen.
Auch ich, obwohl es zu meinem Berufsalltag gehört, habe immer wieder die Bilder von Marthas letzten Minuten vor Augen.
Das schwere atmen, nach Luft schnappen oder jaulen ist fast immer da, aber ich kann dir ganz fest versichern, dass das wirklich nur noch reflektorisch ist. Das Tier bekommt davon überhaupt nichts mehr mit. Versuche dich nicht damit zu quälen, es ist doch schon alles schlimm genug.
Ich bin fest davon überzeugt, dass du Ragna den letzten Liebesdienst erwiesen hast. Ja, auch ich hätte Martha gerne noch länger an meiner Seite gehabt und habe gehadert, ob wir vielleicht noch ein paar schöne Wochen gehabt hätten. Doch was wäre das für eine Zeit gewesen? Die Hunde hätten noch deutlicher gespürt, dass etwas nicht passt, sie hätten unsere Verzweiflung gemerkt und vermutlich hätte es sie sehr belastet. Martha hätte bestimmt geglaubt, dass sie etwas falsches gemacht hat.
Und wir? Hätten wir wirklich die letzte Zeit noch erfüllt und bewusst mit ihnen verbracht? Oder hätten wir uns jede Sekunde gefragt: ist es noch lebenswert? Haben sie Schmerzen? Ist heute der Tag?
Der richtige Zeitpunkt ist nie und ich bin zumindestens froh darüber, dass Martha noch aufrecht und auf allen vier Pfoten stehend diese Welt verlassen konnte.
Ich drück dich aus der Ferne