Heute nacht werde ich zum 1. Mal, seit du tot bist, wieder hier alleine in meiner Wohnung schlafen, die, die 1 Jahr und 3,5 Monate, nachdem ich eingezogen bin, zu unserer wurde. Und ist. Dein Futter ist da, deine Näpfe, deine Decken, deine Spielsachen, mit denen du schon länger nicht mehr spielen wolltest, deine Leine, deine Medikamente. Seit einer Gefäßentzündung und einer Konjunktivitis vor 3 Jahren jeden Morgen eine halbe Tablette, dann ein Tropfen in jedes Auge, erst bei mir, dann bei dir. Und dann ein Leckerli, na klar. Nach deiner Bauchspeicheldrüsenentzündung im Januar 2024 nur noch fettarme, die letzten Monate kleine Herzen & Knochen aus Süßkartoffeln und Möhren, hast du geliebt, aber eigentlich hast du Essen eh geliebt.

Ein Ordner voller Briefe und Rechnungen. Ein Computer mit Bildern und zig Mails, die alle mit dir zu tun haben. Dein BIld, wenn ich den PC oder das Handy aufklappe. Neben mir ein Tässchen mit deinen Haaren, die der Tierarzt abrasiert hat, als er den Katheder legte, um dich einzuschläfern. Sie sind so weich, du hattest immer so ein weiches Fell. Du bist überall, aber ich weiss, dass dein kleiner Körper 5.5 km entfernt in einem Grab liegt. War vorhin bei dir und habe dir frische Blumen gebracht. Den Gedanken, dass dich jemand verbrennt, hätte ich nicht ertragen. Als sie dich aufgebahrt haben, warst du in eine deiner Decken eingewickelt. Ich habe zum letzten Mal deine Beinchen gespürt, deinen Kopf, deine Ohren. Unfassbar, dass es dich nicht mehr gibt.
Die Demenz war schon ein bisschen länger. Wie oft hast du vor einer Tür gestanden, aber auf der falschen Seite. Alle meine Befehle hast du vergessen, aber dir und vor allem mir neue gegeben: Beim Überqueren fast jeder Straße hast du kurz vor dem gegenüberliegenden Bordstein gestoppt, einen Riesensatz gemacht, mein kleiner Flughund, bist stehengeblieben, hast mich angestrahlt und auf dein Leckerli gewartet.
Am 30. Januar, 2 Tage vor deinem 14 Geburtstag, waren wir wie immer zusammen bei der Physio. Dem Therapeuten und mir ist irgendwann aufgefallen, dass du anders als sonst ganz ruhig gestanden und vor dich hergestarrt hast. Den kurzen Weg nachhause wolltest du nicht gehen. Hast dich einfach hingesetzt, unterwegs. Ich habe einen Passanten angehalten, dass er auf dich aufpasst, schnell das Auto geholt. Als ich dich reinheben wollte, hast du kurz versucht, nach mir zu schnappen. Nein, hat mir nicht wehgetan, und ich wusste ja nicht, dass ich dir beim Hochheben wehgetan habe. Bange Stunden in der Tierklinik.

Irgendwann abends die schlimme Nachricht: ein Tumor in der Milz, der gerissen und in den Bauchraum geblutet ist. Chancen OP 50:50 ohne zu wissen, um was für einen Tumor es sich handelt. Nein, sie können mir keinen Rat geben, ich muss entscheiden. Unfassbar. Habe meinen Mann angerufen, wir leben getrennt, er ist gleich gekommen, wollte dich eher einschläfern lassen, um dir evtl. unnötige Schmerzen und Belastung zu ersparen. Aber ich wusste ja, dass du den Körper voller Schmerzmittel hattest und ich wollte, dass du und ich diese kleine Chance nutzen. Und du hast sie genutzt: 3 Tage Klinik, dann zu meinem Mann, der dich die 1. Woche die Treppe rauf und runter getragen hat. Und dem du am 1. Tag nach der OP erst einmal an die Wohnungstür gepinkelt hast: Das erste und einzige Mal, dass du nicht stubenrein warst, wir haben beide gelacht. Ich hatte mich immer gewundert, wieso ein Hund nach 14 Monaten Tierheim (davon über 12 Monate in einem wirklich schlimmen) komplett stubenrein sein kann, war wohl eine Frage der Ehre. Deiner Ehre.
Dann haben sich deine roten Blutkörperchen nach und nach vermehrt, bei der letzten Kontrolluntersuchung am 21. März waren alle Laborwerte bis auf leicht erhöhte Leberwerte wieder ok. Zwischendrin die schlimme Nachricht: Der Tumor war bösartig, auch wegen des vielen Bluts im Bauchraum wahrscheinlich metastasiert. Wie lange? So ne Fragen hat immer mein Mann gestellt. 4-6 Monate, sicher kann man nichts sagen. Aber mein kleiner Hund war gutgelaunt leicht dement verfressen aufmerksam zärtlich, selbst deine Bordsteinspringübungen hast du wieder gemacht, machmal eben ein bisschen verstolpert. Wir schlagen dem Schicksal ein Schnippchen, habe ich manchmal gedacht.
Der Morgenspaziergang am 1. April war schlimm: Du warst so langsam, wolltest nur mit Mühe über die Straße, hast gepinkelt und direkt danach 2 x gemacht, und gleich zurück. Ganz langsam die Treppe hoch, in der Küche in der Ecke gestanden, plötzlich furchtbar gezittert am Hinterleib, dich dann vor deinen Napf gelegt, ganz apathisch. Ich habe wieder meinen Mann angerufen, wir sind wieder in die Klinik gefahren. Und sobald wir dort waren, wirktest du wieder ganz fit und wolltest nichts wie weg: Kliniken und Tierärzte hast du immer gehasst. Hat furchtbar lange gedauert diesmal, Personal krank, dann Ultraschall und wieder banges Warten. Dann: Ich habe eine schlechte Nachricht: Die Leber ist vergrößert, und es hat sich wieder Flüssigkeit gebildet. Wie lange? Naja. Reden wir von Tagen oder Wochen oder Monaten? Von Tagen. Wollen Sie ihn gleich einschäfern lassen? NEIN! Du hast Kliniken immer gehasst, nicht dort. Und du wirktest ja wieder fit. Das Foto habe ich aufgenommen, kurz nachdem wir aus der Klinik kamen.

Freitag warst du immer noch gutgelaunt, wir schlagen dem Schicksal ein Schnippchen, habe ich schon wieder, diesmal gegen alle Vernunft, nur zu hoffen versucht.
Samstag morgen sehr schlapp: Als ich gesehen habe, wie langsam du neben meinem Mann über den Hinterhof gelaufen bist - die Tage davor hattest du es immer so eilig - wusste ich, dass es soweit ist. Komisch, das so zu schreiben. Ich hatte immer furchtbare Angst, dass ich nicht erkenne, wann es soweit ist. Ganz bang habe ich geahnt, es ist soweit. Mein Mann war überrascht, dass du die Treppen noch selbst - ganz langsam - hochlaufen wolltest. Eine Frage der Ehre. Hast in den Napf geguckt, kein Interesse am Hähnchen. Davor hast du manchmal in der Küche übernachtet, wenn ich abends Hähnchen gekocht habe, ganz im guten Dunst des Kommenden. Dich in den Flur gelegt, ganz schlapp. Ganz furchtbar schlapp. Wir haben uns angesehen, mein Mann und ich, und haben geweint. Und genickt. Dann habe ich einen Notdiensttierarzt angerufen. Er kommt um 11h. Dann beim Tierfriedhof angerufen, dass sie irgendwann kommen und dich holen. Am Tag davor war ich dort gewesen, wollte dir einen schönen Platz suchen, für wenn es soweit ist. Hatte nicht gedacht, dass es schon am Tag danach soweit sein würde.
Der Arzt war sehr sorgfältig und hat sich sehr viel Zeit genommen. Wollte auch die Unterlagen aus der Klinik sehen. Nein, er euthanisiert nur, wenn er sich ganz sicher ist. Hat dich untersucht und abgehört. Die Flüssigkeit ist nicht mehr nur im Bauchraum, sie wird hochgedrückt, fängt an, ihm auf die Atmung zu gehen. Bin dankbar für seine Sorgfalt. Er nickt, es ist soweit. Wir halten dich fest, jeder auf einer Seite, während er dir das Beruhigungsmittel von hinten gibt. Das letzte Mal, dass du kurz gejault und versucht hast, dich rauszudrehen. Aber schon so kraftlos. Du schläfst so schnell ein, so fest, hab deinen kleinen weichen weißen Kopf in meinen Händen und mein Gesicht an deinem. Ganz viele Tränen. Der Arzt prüft deinen Puls, sie tragen dich in einen anderen Raum. Eine große blaue Mülltüte mit Handtüchern drauf, er wird sich lösen. Der Arzt rasiert dein linkes Beinchen und setzt den Katheder. Du merkt das nicht mehr. Die Venen wollen nicht recht. Der Arzt prüft immer wieder. Injektionen subkutan, intrakutan, intramuskulär. Steht so in seinem Brief. Ich merke das nicht, weine und halte dich meinen kleinen Hund, als du stirbst. Halte dich, als du tot bist. Weine. Trauere um dich und mich und unser verlorenes gemeinsames Leben. Geboren ungefähr am 1. Februar 2011 irgendwo in Polen. Gestorben am 5. April 2025, in unserem Armen, geliebt.
Am Dienstag war die Beerdigung. Du hast ein Grab, direkt neben einem großen Ginsterbusch. Eine Schlangenkopfstaude haben wir reingepflanzt, eine noch ganz kleine. Und Blumen. Und eigentlich wollte ich jedes Mal, wenn ich komme, ein Leckerli für dich eingraben, aber der Friedhofsmann hat mir erzählt, dass ein kleiner Fuchs ab und zu die Tiere besuchen kommt, deshalb mach ich das lieber nicht. Ausgerechnet ein Fuchs, warst ja selbst ein kleiner Fuchs und völlig närrisch, wenn du einen gesehen hast.
Lächle, während ich daran denke. Du hattest so viele Gesichter. Aufmerksam. Ganz verschmust. Verspielt drohend. Nachdenklich. Gierig. Ängstlich. Auch panisch, beim Tierarzt oder wenn es geknallt hat. Silvester unterm Bett. Ich habe neben dir gesessen. Reine Lebenslust. Und grinsend, was du grinsen konntest.

Lebewohl sag ich dir noch nicht. Bist noch viel zu lebendig. In mir. Du weisst gar nicht, wie sehr du mir fehlst. Doch, du weisst.