Viel Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal geschrieben habe, mein kleiner Spatz. OK, du kannst es eh nicht lesen, konntest du nie. Könntest du lesen, würdest du wahrscheinlich antworten (also wenn du nicht nur lesen, sondern auch sprechen könntest): O czym ona znowu bełkocze? Gdzie są moje smakołyki? 🤣 … Als irgendwann wieder mal irgendwer wissen wollte, was du für ne Rasse bist, meinte G. "ein Polish Borderliner", war wohl glaubhaft: "Ach ja? Die sind ja schön …"
Ich habe lange nicht geschrieben, weil der Mai arg voll mit Arbeit war und du deshalb oft im Hintergrund warst. Hier gelesen habe ich schon, selten geschrieben. Manchmal war ich berührt, manchmal fremdelnd, wie im richtigen Leben eben.
Vorhin war ich auf dem Friedhof: Als G. und ich dein Grab am Sonntag besucht haben, war es ein eher trauriger Anblick: Das Schlangenköpfchen wirkte, als wollte es sich aus dem Staub machen, ganz schlaff und geknickt. Wir haben es gewässert und zusammengebunden, und es hat sich fürs Weiterleben entschieden, hat mich sehr gefreut 🌱

Morgen bist du zwei Monate tot. Gestern habe ich zum ersten Mal geschafft, nur so viele Nudeln zu kochen, wie ich für mich alleine brauche. Das einzige, was ich im Grunde noch von dir habe, sind deine Haare in dem kleinen Tässchen. Meist mag ich sie weder sehen noch anfassen, Angst vor dem Schmerz. Gestern habe ich sie in die Hand genommen und gestreichelt. Hat weh getan. Deine Marke ist in meiner linken Hosentasche, die mit deinem Namen und meiner Handynummer drauf. Wenn sie auf dem Tisch liegt, dann meist so, dass ich nur die Rückseite sehe, tut sonst auch zu weh. Ich bin eine Schmerz- und Gefahrendosiererin 🙃
Ach, mein Mogli. Wär das viel schöner, wenn du noch hier bei mir wärst. Am Wochenende bei G. waren die Bilder deines Sterbens wieder so eindringlich und nah. Du und ich, wir hatten keine Chance mehr. Manchmal habe ich überlegt, ob es ein schlechtes Zeichen war, dass Frau Dr. W., die dir zweimal das Leben gerettet hat, krank war, als wir am 30. Januar in die Tierklinik kamen. Ich war ihr unfassbar dankbar und dachte immer, dass sie es sein wird, die mir irgendwann eben auch die schlechte Nachricht bringen wird: Dass sie am Ende ihrer Kunst ist. Hat sie nicht können, ist selbst schwer krank geworden, ich weiß nicht mal, ob sie wieder gesund ist. Aber ich weiß, dass auch sie am Ende ihrer Kunst gewesen wäre. Sie hat dir und mir mindestens zwei zusätzliche Jahre geschenkt, und die Ärztinnen, die uns ab Ende Januar begleitet haben, wenigstens noch ein paar Monate. Viel zu kurz, aber so lange wie irgend möglich. Und wenn das Unfassbare nach mir greift und mich niederzuringen droht, sage ich mir: Das ist TOD, meine Liebe. Dass ist die Mauer, die wir nicht ändern können. Früher irgendwann hatte ich ein Poster in meinem Zimmer, zwei Finger, die sich ganz vorsichtig berührt haben. Würde gerne durch diese Mauer greifen und dich ganz vorsichtig berühren. Dann denke ich, dass du ja keine Finger hättest, sondern eine Pfote, und so unkoordiniert, wie du in deinen letzten Wochen manchmal warst, würdest du bestimmt danebentreffen. Und muss über dich und mich lächeln.