Hallo Community,
Es ist gerade mal drei Tage her, dass unser Seelenhund Labrador Chase nach einem grauenhaften Unfall nicht weiterleben durfte. Dabei war er erst 3.5 Jahre alt.
Wir sind eine kleine Familie. Eine glückliche Ehe, ein Sohn, Chase kam im Sommer 2021 überraschend mit nur 8 Wochen zu uns und seit zwei Monaten ist noch unser Bolonka Welpe Yuro eingezogen. Samstag Abend, unser Kind lag im Bett, mein Mann schlafend neben mir auf dem Sofa, den Labbi Kopf auf dem rechten Oberschenkel und den Bolli auf dem Linken, habe ich noch gedacht, wie glücklich ich bin, dass ich diese großartige Familie und diese zwei tollen Hunde haben darf. Chase und Yuro waren von Anfang an ein Dreamteam. Obwohl der Bolli Welpe so winzig war, hat Chase stets Rücksicht genommen. Beim Spielen war er total vorsichtig, hat das Seil mit der Schnauze nur festgehalten und Yuro konnte ziehen und zerren. Immer lagen sie zusammen gekuschelt. Ich hatte mir immer zwei Hunde gewünscht und diese beiden zusammen waren das Traumpaar, das ich mir vorgestellt hatte.
Am Sonntag hatten wir einen Ausflug ohne Hunde geplant. Mein Mann und mein Sohn haben morgens Kindersendungen geschaut und ich wollte noch eine Runde mit den Hunden drehen, damit sie während unserer Abwesenheit zufrieden in der Küche hätten liegen können.
Chase war ein absoluter Prachtkerl. Wild, kraftvoll und schnell. Im Grunde bestand er mit seinen 34kg nur aus Muskeln. Immer unterwegs mit mir, immer am Laufen, am Apportieren und Spielen. Fährten und Bälle suchen, Kopftraining… Action und Spiel waren ihm sogar wichtiger als Futter. Leckerlies waren egal, Hauptsache, er konnte rennen. Er begleitete mich täglich zur Arbeit und unsere Urlaube fanden ausschließlich mit Hund statt. Immer waren wir zusammen.
Wir wohnen sehr ländlich und konnten stets schön durch Wälder streifen und über sehr übersichtliche Feldwege gehen. Chase lief immer frei. Da der Labbi an der Leine eine absolute Zerrkatastrophe war, hatte ich ihn mit viel Ausdauer erfolgreich auf Abruf trainiert. Das funktionierte komischerweise, Leine haben wir stattdessen nie gut hinbekommen. Auch im Wald; er ließ sich von Hasen, Rehen und allem, was es dort zu jagen gab, ohne Probleme abrufen. Sogar aus Spielsituationen mit anderen Hunden heraus kam er direkt zu mir wenn ich das wollte.
An diesem Sonntag war es noch recht früh und dämmerig, deswegen entschied ich mich für eine Runde über asphaltierte Feldwege, bei denen es eine Landstraße zu kreuzen gab.
Wäre ich doch nur durch den Wald gegangen…
Der Spaziergang verlief wie immer. Der Labbi rannte, der Bolli hinterher und ich hatte die Hunde und das Umfeld stets im Blick. Gute 100 Meter vor der Straße habe ich Chase bei Fuß gerufen. Er kam auch direkt, drehte sich neben mir ein und der Bolli machte es ihm nach. An der Straße, die komplette leer war, gab es von mir stets das Kommando „Stop!“, und Chase stand. Erst auf mein „OK!“ haben wir die Straße überquert. Kaum sind wir auf der anderen Seite, sehe ich über die Schulter aus dem Augenwinkel, dass Nachbarn mit ihrem Schweizer Sennhund an der Leine über den Bürgersteig gehen. Sie waren wohl gerade aus ihrem Tor gekommen, als wir auf der anderen Seite ankamen.
Die Hunde kennen sich und haben oft zusammen gespielt. Chase war sofort interessiert und wollte natürlich zu dem anderen Hund. Ich habe ihn bei Fuß geordert und er gehorchte. Nur der Bolli kam nicht richtig hinterher. Er hatte den Nachbarshund auch gesehen und guckte in die Richtung, kam aber nicht weiter hinter mir her.
In dem Moment kam das Auto aus unserer Sicht von rechts. Der Fahrer war normal schnell und schien den Nachbarshund im Blick zu haben. Ich hatte Angst, dass der Bolonka Welpe über die Straße zurück laufen könnte. Chase war bei mir.
In den letzten drei Tagen habe ich diese Szene in Endlosschleife in meinem Kopf durchgespielt und ich bin mir sicher, dass ich in diesem Moment den Fehler meines Lebens gemacht habe.
Es war ein Schritt nach vorne. Der Bolonka reagierte nicht auf mich. Wie denn auch, er war ja erst 5 Monate alt und noch nicht ausgebildet.
Also hatte ich unbewusst einen Schritte auf ihn zu gemacht, um meinem „hierhin!“ mehr Ausdruck zu geben. Ich denke, diesen Schritt zur Straße hin hat Chase als Freigabe interpretiert, dass er wieder in die andere Richtung zum Nachbarshund darf, denn plötzlich ging alles ganz schnell. Im Bruchteil einer Sekunde schoß der Labbi wie angezündet los und stürtzte auf den Nachbarshund zu. Gleichzeitig fing das Auto, ein Nissan Navarra, an zu bescheunigen. Ich konnte sehen, was geschehen würde. Ich konnte meinen Hund sehen, der wie im Tunnel nur seinen Spielkumpel fixierte und blitzschnell auf ihn zuschoss und ich konnte das Auto sehen, dass einfach nicht bremsen wollte und stattdessen immer schneller wurde. Ich habe gebrüllt wie noch nie in meinem Leben, aber Chaseys Schlappohren standen auf Durchzug. Er stoppte nicht und Auto und Labbi knallten brutal gegeneinander. Da es ein Pickup war, wurde Chase unter das Auto gerissen und hat sich dort mehrfach überschlagen und gereht. Das ganze nur wenige Meter vor mir. Ich habe nur noch geschrien, so sehr, dass der Bolonka Welpe vor lauter Angst und Schreck davongelaufen ist.
Als Chase hinter dem Wagen wieder hervorkam, saß er zitternd auf seinem Hintern, die Vorderbeine gerade ausgestreckt, die Hinterläufe schlapp. Ich werde niemals diese prustenden Geräusche vergessen und seinen Blick. Er war völlig verwirrt und entsetzt. Man konnte ihm ansehen, dass er gar nicht begreifen konnte, was gerade geschehen war. Er wollte doch nur Spielen.
In seinem Gesicht waren mehrere Fleischwunden und etwas Blut lief ihm aus der Schnauze. Der Fahrer hatte angehalten und kam erschrocken zurück. Er sagte, er habe nur auf den Hund auf dem Gehweg geachtet und beschleunigt, als er den Blick noch zur Seite gedreht hatte. Chase habe er nicht gesehen und erst das Rumpeln unter seinem Auto bemerkt.
Unseren Tierarzt konnte ich sofort erreichen, der auch noch Notdienst hatte. Der Nachbar ist zu unserem Hof gelaufen, um meinen Mann zu informieren und um den Welpen zu suchen. Der Unfallfahrer brachte uns sofort zur Tierarztpraxis. Chase saß zwischen meinen Beinen und stöhnte vor sich hin, drückte seinen Kopf gegen meinen Bauch. Ich konnte ihn nur festhalten.
In der Praxis bekam er erstmal starke Schmerzmittel und eine Infusion.
Der Tierarzt stellte sofort fest, dass sein Unterkiefer gebrochen war, aber er meinte, das würde man wieder hin bekommen. Der Ultraschallscan vom Bauchraum war unauffällig. In dem Moment hatte ich noch die Hoffnung, dass er überleben könnte. Chase war doch so stabil und so kräftig, vielleicht hatte wir noch Chancen. Zwischenzeitlich traf mein Mann ein und wir hielten beide unseren Hund fest. Unser Sohn und der Bolonka Welpe waren sicher bei Opa untergebracht. Der kleine Kerl war vor lauter Panik zu unserem Hof zurück gerannt.
Ich hatte bis zu diesem Moment noch nicht bemerkt, dass Chase mehr und mehr Blut aus dem Maul lief. Ich dachte jedoch, es läge vielleicht am Bruch. Ich hatte seinen Kopf auf meinen Arm gebettet und habe ihm gut zugeredet. Er wollte immer wieder aufstehen und ich dachte, dass auch das vielleicht ein gutes Zeichen sei.
Die Röntgenbilder allerdings haben uns dann fast umgebracht. Zu dem Kieferbruch war sein Knie im Hinterlauf komplett zertrümmert und in der Lunge sammelte sich Blut. Pneumothorax nennt man das, oder? Mit diesen Verletzugen hätte der Tierarzt uns noch in eine Tierklinik geschickt. Wir hätten auch nicht gezögert und alles getan, um Chase zu retten. Leider musste der Vet auch feststellen, dass Chase‘s Wirbelsäule verdreht und gebrochen war. So wie er vor mir lag, war er also bereits querschnittsgelähmt. Die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung ging damit gegen Null. Der Tierarzt sagte, dass er vermutlich nie wieder laufen würde; eine Vielzahl eventueller neurologischer Schäden würde wahrscheinlich noch dazu kommen. Wir haben uns dann zitternd dazu entschieden, unseren wunderbaren Labbi gehen zu lassen. Die Verletzungen waren einfach zu schwer.
Zu Hause mussten wir es unserem Sohn sagen. Und es sollte doch eigentlich so ein schöner Tag werden.
Warum habe ich diesen Schritt gemacht? Warum habe ich ihn nicht festgehalten oder für diese paar Meter Straße angeleint, und den Welpen einfach hoch genommen?!
Ein Auto! Ein einzelnes Auto auf einer einsamen Straße, das im flaschen Moment beschleunigt, mit einem Fahrer, der in dem Moment nicht nach vorne geguck hat und mein geliebter Hund rennt ungebremst davor.
Ich weiß, dass ich durch mein falsches Verhalten an diesem Unfall die Hauptschuld trage. Ich hätte es besser wissen müssen. Chase war viel zu wild und arglos. Es zerreißt mich, dass ich ihn nicht beschützen und ihn nicht mehr erreichen konnte. Mein Sohn sagte zu mir, Mama, warum bist Du überhaupt los gegangen??!
Ich mache mir solche Vorwürfe. Alles hat so tragisch ineinander gegriffen, aber warum habe ich diesen wunderbaren Hund in dem Moment nicht einfach festgehalten und mich erst DANN an dem Welpen gewandt??! Hätte der Fahrer auch nur ein bisschen gebremst, wäre die Sache glimpflich ausgegangen. Wäre der Nachbar kurz stehen geblieben, anstatt weiter zu gehen und den Abstand zwischen den Hunden immer mehr zu verringern… Mein Kopf macht mich wahnsinnig im Moment. An jeder Ecke breche ich emotional zusammen, weil dieses ganze Leben hier nie ohne unseren Labbi stattgefunden hat. Unsere ganzen Rituale fehlen mir so sehr und ich sehe ihn überall. Die Schuld erdrückt mich.
Ich hoffe inständig, dass Chase vor lauter Schock und Adrenalin keine allzu großen Schmerzen hatte, bis er Schmerzmittel bekommen konnte. Ich hoffe, mein Labbi vergibt mir, dass ich in diesem Moment nicht genug auf ihn aufgepasst habe. So einen grausamen Tod hat niemand verdient. Schon gar nicht so ein wunderbarer, argloser und wahnsinnig lieber Hund. Ich weiß noch nicht, ob und wie ich damit klarkommen werde. Wir haben Chase ein schönes Grab an seinem Lieblingsplatz auf der Wiese gestaltet. Aber was hilft das? Er sollte nicht da draußen liegen, sondern hier zu meinen Füßen. Ich habe schon viele Tiere in ihren letzten Minuten begleitet, aber sie waren alle alt und es war für sie an der Zeit, ihren Kreis zu schließen. Es war jedes Mal schlimm, aber immer absehbar. Doch so ein brutaler und unerwarteter Unfall… Niemals hätte ich mit so etwas gerechnet. Danke, dass ich hier schreiben durfte.